Fischerei bekommt Recht von höchster Stelle

Ein Kommentar von unserem Verbandsmitglied Gerhard Kemmler zu einem aktuellen Urteil des Europäischen Gerichtshofes mit Bezug auf die Fischerei in Fließgewässern.

Geschädigter greift Verursacherprinzip und Umwelthaftung bei Umweltschäden auf

Ein Angelfischer hatte Beschwerde eingereicht da sein Fischereirecht unterhalb einer Wasserkraftanlage starken erheblichen Umweltbeeinträchtigungen durch den Betrieb der Anlage ausgesetzt war. Durch die im Jahreslauf erheblichen Wasserspiegelschwankungen wurde die natürliche Reproduktion der Fische gestört und es kam u.a. zu einer erhöhten Sterblichkeit. Die Klage führte über verschiedene Gerichtsverfahren bis zum Europäischen Gerichtshof
mit folgender Urteilsausführung.

Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofes stellt klar, dass Betreiber für Umweltschäden rückwirkend haften müssen, auch wenn sie von früheren nationalen Betriebsgenehmigungen gedeckt waren! Hier sollten Vereine und Verbände aktiv werden und die Behörden um Tätig werden auffordern.

In Ihrem Bericht vom 14.4.2016 COM (2016) 204 final schreibt die EU-Kommission gemäß Artikel 18 Absatz 2 der Richtlinie 2004/35/EG über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden:

Die Umwelthaftungsrichtlinie betrifft Fälle von erheblichen Umweltschäden. Sie setzt das in Artikel 191 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union verankerte „Verursacherprinzip“ um, wonach der Öffentlichkeit keine Kosten entstehen sollten, wenn eine industrielle Tätigkeit zu erheblichen Umweltschäden führt. Betreiber, die eine in Anhang III (6. Wasserentnahme und Aufstauung von Gewässern, die gemäß der Richtlinie 2000/60/EG einer vorherigen Genehmigung bedürfen) der Richtlinie 2004/35/EG gefährliche berufliche Tätigkeit ausüben, haften für die von ihnen verursachten Umweltschäden, ohne dass ein Verschulden (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) nachgewiesen werden muss. Ein Schaden gilt als saniert, sobald die Umwelt in den Ausgangszustand zurückversetzt wurde. Auch das der Richtlinie gefolgte Umweltschadensgesetz (USchadG) 2007, zuletzt geändert durch Art. 4 G v. 4.8.2016 bestimmt in § 9 Benutzungen (1) Benutzungen im Sinne dieses Gesetzes sind das Entnehmen und Ableiten von Wasser aus oberirdischen Gewässern, das Aufstauen und Absenken von oberirdischen Gewässern und im Wasserhaushaltsgesetz geht im § 90 darauf ein.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in einem Grundsatzurteil Rechtssache C-529/15 am 1. Juni 2017 entschieden, dass auch die Betreiber von vor 2007 errichteten Wasserkraftanlagen, hier 1998 genehmigt und 2002 betrieben, für Umweltschäden haften müssen. Die Betreiber können sich mit Blick auf höherrangiges EU-Recht nicht mehr darauf berufen, dass ökologische Schäden von früheren nationalen Betriebsgenehmigungen (Erlaubnisse, Bewilligungen) gedeckt seien. Geklagt hat ein Fischereiberechtigter an der Mürz in Österreich durch die Instanzen bis zum Gerichtshof.

Der EuGH entschied nun, dass die EU-Regelung zur Umwelthaftung und Sanierung von Umweltschäden im Sinne von Art. 2 Nr. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/35/EG zur Umwelthaftung rückwirkend auch für Altanlagen gilt, die vor dem 30. April 2007 in Betrieb gegangen sind. Ökologische Schäden, die seitdem von den Anlagen ausgehen, seien nicht mehr durch eine behördliche Betriebserlaubnis (Erlaubnis, Bewilligung) gedeckt.

Unter Randnummer (Rn) 39 Rechtssache C-529/15 führt der EuGH klar und unmissverständlich aus: „Unbeschadet der Möglichkeit einer gerichtlichen Nachprüfung, haben die für die Bewilligung eines Vorhabens zuständigen nationalen Behörden vor der Bewilligung nämlich zu prüfen, ob die in Art. 4 Abs. 7 Buchst. a bis d der Richtlinie 2000/60/EG aufgeführten Bedingungen für eine Ausnahmen unter teilweisen oder gänzlichen Verzicht auf die Zielerreichung der Wasserrahmenrichtlinie erfüllt sind. In Deutschland ist das nicht geschehen, so dassTausende Wasserkraftanlagen danach europarechtswidrig genehmigt wurden und damit deren Bestandsschutz ernsthaft infrage gestellt werden muss (IDUR Schnellbrief 203).

Diese Ausnahmen Art. 4 (7) WRRL im WHG § 31 (2) sind laut EuGH die einzige Grundlage einer Interessensabwägung im Genehmigungsverfahren  und verlangen, dass alle praktikablen Vorkehrungen nach dem neusten Stand der Wissenschaft getroffen werden um die negativen Auswirkungen zu mindern; die Gründe für die Änderungen, eventuell auch eine Zielverfehlung im Bewirtschaftungsplan einzeln dargelegt wurden; ein übergeordnetes öffentliches Interesse vorliegt oder der Nutzen der Wasserrahmenrichtlinie wird übertroffen oder für die menschliche Gesundheit, die Erhaltung der Sicherheit der Menschen oder die nachhaltige Entwicklung und keine besseren Umweltoptionen zur Verfügung stehen.

Seit mehr als 100 Jahren steht sinngemäß in allen Fischereigesetzen, sie stellen im juristischen Sinne (UBA-Rechtsabteilung) eine Verschärfung des Wasserhaushaltsgesetzes durch Landesrecht dar, dass das Eindringen von Fischen in die Triebwerke durch geeignete Mittel auf eigene Kosten der Betreiber zu verhindern ist. Diese Forderung stellt nach offizieller Auslegung einen Individualschutz (Hessisches Umweltministerium) dar und würde damit dem Tierschutzgesetz gerecht. Die Verursacher hatten in 100 Jahren genügend Zeit, entsprechend aktiv zu werden. Im Thüringer Fischereigesetz § 36 geht man auf die Entschädigungen ähnlich anderer Bundesländern ein:

(2) „Für unvermeidbare Schädigungen des Fischbestandes, der Gewässerfauna und aquatischen Lebensräume haben die Verpflichteten den Fischereiausübungsberechtigten angemessenen Ersatz in Geld zu leisten“. Die Basis für die Forderungen der Fischereiberechtigten aus dem Fischerei- und Wassergesetz kann beispielsweise eine Aufforderung zum Tätigwerden der Behörde im Sinne der Umwelthaftung die Betreiber mit der Forderung auf eigene Kosten die fischereilichen Schäden 10 Jahre rückwirkend ermitteln zu lassen. Die geschädigten Fischer haben gemäß EuGH Urteil das Recht die Angaben zu prüfen.

In seinem Urteil begründet der EuGH unter Randnummer 34 nun, dass diese Richtlinie (2004/35) der nationalen Rechtsvorschrift entgegen steht, nach der ein Schaden mit erheblichen Auswirkungen auf die betroffenen Gewässer vom Begriff des “Umweltschadens” ausgenommen sei, “weil er durch eine Bewilligung in Anwendung des nationalen Rechts gedeckt ist”. Auch stünde die EU-Richtlinie der nationalen Rechtsvorschrift, wonach Fischereiberechtigte kein Prüfungsverfahren in Bezug auf einen Umweltschaden durchführen lassen dürfen, entgegen. Der EuGH unterstreicht dies auch mit Artikels 9 der Aarhus-Konvention.

Übersetzt bedeutet das, dass einzelne Fischereiausübungsberechtigte oder Vereine, entgegen des Bundes- und Landesrechts, zu Beschwerden, Aufforderungen zur Feststellung der Umweltschäden und deren Beseitigung sowie zu Klagen vor Gerichten berechtigt sind. Ein echter Durchbruch, der qualifiziert durch die Angler genutzt werden sollte. Die Landesverbände sollten sie dabei unterstützen.

Zu beachten sind die anderen Auslegungen im nationalen Recht.„Umweltschadensgesetz vom August 2016 (BGBl. I S. 1972)“ oder abweichende landesrechtliche Regelungen. Auf jeden Fall sollte jeder betroffene Verein oder Verband umgehend eine qualifizierte Aufforderung zur Prüfung der Umweltschädengemäß EuGH-UrteilC-529/15 an die Genehmigungsbehörde senden und auch auf die Richtigkeit der Prüfungsergebnisse achten. Die ermittelten Umweltschäden könnten dann als Grundlage für Schadenersatzforderungen der Fischerei nach Landesrecht dienen.

Wichtig dabei sind die Ausführungen des Generalanwaltes MICHAL BOBEK beim Gerichtshof in seinen Schlussanträgen Rn.: 83. „Wie durch den 25. Erwägungsgrund bestätigt wird, sollten Personen, die nachteilig betroffen oder wahrscheinlich betroffen sind, berechtigt sein, Behörden zum Tätigwerden aufzufordern. Diese betroffenen Personen sollten Zugang zu Verfahren haben, in deren Rahmen Entscheidungen, Handlungen oder die Untätigkeit der zuständigen Behörden überprüft werden (Art. 13 Abs. 1 und 26. Erwägungsgrund der Umwelthaftungsrichtlinie). Zu den wichtigsten Errungenschaften der Umwelthaftungsrichtlinie gehören in der Tat die darin vorgesehenen weitgehenden Möglichkeiten natürlicher und juristischer Personen, ein Tätigwerden zu verlangen und Rechtsbehelfe gegen die Untätigkeit der Behörden einzulegen.“

Jedenfalls gilt das Verursacherprinzip, wenn das auch einige Zeit dauern wird, bis die Kehrtwende Politiker, Behörden und Gerichte wahrnehmen. Die Angler tragen nicht mehr allein die Last die Fischbestände im Sinne der WRRL, der FFH- Richtlinie und Hegepläne mit ihren Mitgliedsbeiträgen und der Fischereiabgabe durch Aufzucht und Besatz zu stabilisieren. Wen wundert es? Nach 17 Jahren Wasserrahmenrichtlinie 2000/60/EG (WRRL) haben lt. Umweltbundesamt nur 8,2 % der Oberflächenwasserkörper den guten ökologischen Zustand erreicht. Es ist zu resümieren, dass schon unter „Grüner“ Führung 2004 das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) die Weichen für die WRRL-Zielverfehlung stellte und die nun vom EuGH aufgerufene Umwelthaftung greift. Allerdings ist der erhoffte Zuwachs der Stromerzeugung klimabedingt seit mehr als 20 Jahren ausgeblieben. Die „EEG-Ritter“ strichen Milliarden Gewinne zu Lasten der Allgemeinheit ein. Nur sind jetzt nahezu alle Fließgewässer zerstückelt und eine enorme Zahl von Fischen werden in Kraftwerken massenhaft vernichtet.

Auch sind Sanierungsmaßnahmen mit Blick auf den vom EuGH nun „durchlöcherten“ Bestandsschutz von WKA an Gewässern im Sinne der Umwelthaftung im Urteil des Europäischen Gerichtshofes Rechtssache C-399/14 zur Dresdner Waldschlösschenbrücke, nämlich der Rückbau zu sehen und von den Vereinen in bestimmten Fällen zu fordern.

In den Schlussanträge der Generalanwältin ELEANOR SHARPSTON Randnummer 64 steht geschrieben:

„Zunächst halte ich es für undenkbar, dass die nach nationalem Verfahrensrecht eingetretene Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses in irgendeiner Weise als Begründung dafür herangezogen werden kann, dass Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie nicht eingehalten werden muss.“

Sie ist mit der Wasserrahmenrichtlinie als eine Umweltrichtlinie gleichzusetzen.

Rn. 70: „Allerdings schließe ich mich der von der Kommission vertretenen Auffassung an, wonach bei der Abwägung der verschiedenen Optionen die wirtschaftlichen Kosten, z. B. des Rückbaus der Waldschlösschenbrücke und der Entschädigung des Bauträgers, grundsätzlich unbeachtlich sind“.

Bislang gingen die Behörden in Deutschland von einer eher strikten Bestandskraft alter Zulassungen aus. Jetzt sind sie vom EuGH verpflichtet worden, “die Sündenfälle der Vergangenheit an der Natur aktiv anzugehen” und für eine Verbesserung der Natur zu sorgen. Wir werden in Hessen aufgrund der vorstehenden Rechtslage nachprüfen in welchen Fällen dies zum Tragen kommt.

Trockenlegung eines Mühlgrabens an der Wohra durch Kraftwerksbetreiber mit tödlichen Folgen für die
Fischfauna – ohne Ahndung der Behörde.
Foto: B. Braun