Edersee – von kleinen Fischen und alten Bäumen

Im Norden Hessens, südwestlich von Kassel erstreckt sich der im Jahr 2004 gegründete Nationalpark Kellerwald-Edersee. Im Jahr 2011 wurde er zum UNESCO Weltnaturerbe ernannt. Die ausgedehnten alten Buchenwälder, die von keiner Straße und keiner Siedlung zerschnitten werden präsentieren sich dem Betrachter aus der Vogelperspektive wie ein Buchenmeer. Und der gewundene Edersee erscheint mit seinen weit in die Buchenwälder ragenden Buchten nahezu fjordartig.

Unsere diesjährige Tagung fand im NationalparkZentrum Kellerwald statt. Dies ist die zentrale Informations- und Bildungseinrichtung des Nationalparks Kellerwald-Edersee. Im Seminarraum versammelten sich am 17. März 2018 die aus allen Teilen Hessens angereisten Naturschutzbeauftragten. Es ist bekannt, dass Gäste bei unserer Tagung immer herzlich willkommen sind und so hatten sich in diesem Jahr auch wieder einige angemeldet. Frau Dr. Semiramis Pyriki begrüßte alle Teilnehmer und die Gastreferenten, Prof. Dr. Heiko Brunken von der Hochschule Bremen, Frau Tatiana Habich vom NationalparkZentrum Kellerwald und unseren Naturschutzreferenten Rainer Hennings sehr herzlich und freute sich, dass alle trotz der noch sehr winterlichen Straßenverhältnisse an diesem Wochenende den zum Teil weiten Anfahrtsweg auf sich genommen haben.

Zunächst gab Frau Dr. Pyriki eine kurze Einführung in das Tagungsprogramm mit zwei interessanten Vorträgen am Vormittag und der Führung durch die Erlebnisausstellung des NationalparkZentrums am Nachmittag.

Im Mittelpunkt des ersten Vortrags, den Prof. Dr. Heiko Brunken hielt, stand ein kleines Fischchen, das 2018 „Fisch des Jahres“ ist. Der Titel seines Vortrags lautete:

 „Stichlinge und ihre Lebensräume – kleine Fischchen mit großer Vielfalt“

Vom beeindruckenden Balztanz des Dreistachligen Stichlings hat vielleicht jeder schon einmal etwas in der Schule gehört und dabei die knallbunten Farben der werbenden Männchen bestaunt. Roter Bauch und stahlblaue Augen, das beeindruckt, so begann Prof. Brunken seinen interessanten Vortrag. Aber dass die Männchen des Zwergstichlings, der zweiten bei uns im Süßwasser vorkommenden Art, anlässlich ihrer Hochzeit pechschwarz werden und dabei mit weißen Bauchflossenstacheln glänzen, hätte vielleicht nicht jeder von uns gewusst, meinte Prof. Brunken. Und dann noch der schlanke und elegante Seestichling, der in den Seegraswiesen und Tangwäldern von Nord- und Ostsee ein noch weitgehend unbekanntes Leben führt. Prof. Brunken wies darauf hin, dass Stichlinge, obwohl sie zu den mit am besten erforschten Fischarten gehören, immer noch zahlreiche Überraschungen bieten und Gegenstand laufender Forschungen sind.

Wer jetzt bei der Artenzahl mitgezählt hat, hat nun drei einheimische Stichlingsarten auf der Liste. Ein Blick in die bundesweite Rote Liste, die vom Bundesamt für Naturschutz herausgegeben wird und gleichzeitig als Checkliste für alle bei uns vorkommenden Fischarten dienlich ist (Freyhof 2009), zeigt aber in der Gattung Gasterosteus, es handelt sich um die dreistachligen Stichlinge, plötzlich zwei Arten: den Westlichen Stichling Gasterosteus aculeatus und, neu hinzugekommen, den Östlichen Stichling Gasterosteus gymnurus. Prof. Brunken erklärte, dass der griechische Wortstamm „gymnos“ nackt bedeutet und somit auf die bei dieser Form bzw. Art fehlenden seitlichen Knochenplatten am hinteren Körperende hindeutet. Hier liegt nun auch die Erklärung für diese Verwirrung. Dass bei den dreistachligen Stichlingen anhand der seitlichen Knochenplatten und des Wanderverhaltens zwei verschiedene Formen unterschieden werden können, ist schon lange bekannt, erläuterte Prof. Brunken. Dies wurde zwischenzeitlich in der Wissenschaft zum Anlass genommen, hier zwei verschiedene Arten zu definieren. Weiter legte Prof. Brunken dar, dass nun aber genetische Untersuchungen zeigen, dass es sich wohl doch nur um eine Art – diese aber mit erstaunlicher großer innerartlicher Vielfalt – handelt. Es wird also auch in Zukunft mit Gasterosteus aculeatus bei nur einem Dreistachligen Stichling bleiben. Denjenigen, die etwas mehr zu dieser Thematik wissen möchten, empfahl Prof. Brunken u.a. den Beitrag von Brunken & Woltmann (2018) in der aktuellen Broschüre des DAFV zum Fisch des Jahres 2018.

Sowohl der Dreistachlige Stichling als auch der Zwergstichling sind in Deutschland weit verbreitet. Doch wo beide früher häufig waren oder sogar massenhaft vorkamen, werden sie heute immer seltener. Prof. Heiko Brunken erläuterte die vielfältigen Gründe für diesen schleichenden Rückgang: Kleinstlebensräume verschwinden nahezu unbemerkt, Querbauwerke, die von Forellen vielleicht noch passiert werden können, stellen für Stichlinge oft unüberwindbare Hindernisse dar und in der Folge des Klimawandels trocknen Gräben und Weiher oft schon im Frühjahr aus. Kenntnisse über die Lebensräume und die Verbreitung unserer Stichlingsarten können dazu beitragen, bei der Hege unserer Fischgewässer auch unseren beiden Kleinsten zu ihrem Recht zu verhelfen. Gerade der oft übersehene Zwergstichling kann dabei sogar als Indikatorart für Auengewässer bezeichnet werden. Mit seinem kleinen oberständigen Maul kann er auch bei extremer Sauerstoffarmut, wie dies phasenweise typisch für natürlicherweise verlandende Altwässer ist, noch durch das Atmen in der oberflächennahen Grenzschicht überleben, erklärte Prof. Brunken. Weiter weist er darauf hin, dass durch den Schutz derartiger Auen- und Kleinstlebensräume gleichzeitig auch die Bestände anderer, oft stark bedrohter Auenarten wie beispielsweise Schlammpeitzger und Karausche gefördert werden. Auch mit dem Amphibienschutz ist der Fischartenschutz in dieser Form sehr gut vereinbar. Wie wir also sehen, können Angelfischer in der Praxis auch und gerade bei den kleineren Arten wichtige Beiträge zum Beispiel bei der Bestandserfassung oder bei der Planung und Umsetzung von Maßnahmen leisten betonte Prof. Heiko Brunken abschließend.

Neugierig geworden ? Dann gibt es hier weitere Informationen:

Brunken, H., Hein, M. & Klugkist, H. (2012): Auswirkungen ökologischer Grabenräumung auf Fische und die Grüne Mosaikjungfer (Aeshna viridis) in Bremer Natura 2000-Gebieten. – Natur und Landschaft 87 (8): 370-375.

Brunken, H. & Winkler, M. (2018): Fischfauna-online 2.0. Digitaler Fischartenatlas von Deutschland und Österreich.-Hrsg. Gesellschaft für Ichthyologie e.V. und Hochschule Bremen. World Wide Web electronic publication. www.fischfauna-online.de

Brunken, H. & Woltmann, I. (2018):  Wie viele Stichlingsarten haben wir in Deutschland? – In: Fisch des Jahres 2018. Der Dreistachlige Stichling (Gasterosteus aculeatus). Berlin, Hrsg.: Deutscher Angelfischerverband e.V.: 16-21

Freyhof, J. (2009): Rote Liste der im Süßwasser reproduzierenden Neunaugen und Fische (Cyclostomata & Pisces). – Naturschutz und Biologische Vielfalt, 70 (1): 291-316.

Paepke, H. J. (1996): Die Stichlinge: Gasterosteidae. – 2. überarbeitete und ergänzte Auflage. – Die Neue Brehmbücherei 10. 175 S.

Im zweiten Vortrag des Vormittags

 „Umsetzung der WRRL – Große Renaturierung und Fischbergungen an der Weschnitz in Lorsch „

berichtete Rainer Hennings mit einem ausführlichen PowerPoint-Vortrag über die Groß-Renaturierung in der „Weschnitzinsel“ Lorsch. Die Vorgeschichte dieses Projektes geht zurück bis in das Jahr 1535: In der Zeit der Reformation wurde die Weschnitz, ein direkter Zufluss des Rheins aus dem Odenwald, ab der badischen Stadt Weinheim auf gut 12 km Länge bis zum hessischen Lorsch in zwei Flussläufe, die Alte und die Neue Weschnitz, aufgespalten – das Land zwischen den beiden Flussläufen wird seither Weschnitzinsel“ genannt. Auf rund einem Viertel dieser Strecke im Gebiet der Stadt Lorsch wurden nun 2017 die beiden Flussarme aus den bedeichten und begradigten Strecken herausgenommen und in einem naturnahen, gemeinsamen Bett durch das Naturschutzgebiet, FFH-Gebiet und Rückhaltebecken „Weschnitzinsel von Lorsch“ geführt. Die Idee zu diesem Großprojekt hatte Rainer Hennings schon im Jahr 1990 – bis zur Realisierung seiner damaligen Vision brauchte es dann noch 27 Jahre zäher Überzeugungsarbeit des VHF. Ohne den Europäischen Druck zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) und die Mithilfe vieler anderer Akteure wäre das Projekt aber nicht Wirklichkeit geworden. Am 5. und 12. Oktober 2017 erfolgten dann die Durchstiche zur Einleitung der Neuen und der Alten Weschnitz in das drei Kilometer lange, neu modellierte gemeinsame Bett – für dieses waren in 4 Monaten Bauzeit nicht weniger als 10.000 Lkw-Ladungen Erdaushub bewegt worden. Das Land Hessen finanzierte das Projekt als „Synergiemaßnahme“ zu 100 Prozent mit rund 3 Millionen Euro. Bauträger war der Gewässerverband Bergstraße, Lorsch (GVB).

Als Folge der Umleitung fielen aber die bedeichten Altbetten auf 2 bzw. 2,5 km Länge trocken. Die darin lebenden Fische und Muscheln mussten also geborgen und umgesetzt werden. Dies war eine große Herausforderung, die nur durch die Mithilfe zahlreicher Ehrenamtlicher und durch perfekte Organisation gemeistert werden konnte. Die Organisation der Infrastruktur mit Sammelpunkten, Parkplätzen, Verpflegungsständen, Dixi-Toiletten und Fischtransporten meisterte souverän der GVB. Die Organisation der teilnehmenden Fischökologie-Büros (INGA und FISHCALC) und der freiwilligen Helfer übernahm Rainer Hennings in seiner beruflichen Funktion als Ökologische Baubegleitung/aquatischer Bereich des Gesamtprojekts. Es waren am Ende über 240 Freiwillige, davon allein 97 Angler aus Vereinen bis nach Frankfurt und 21 Jäger des Jagdclubs Bergstraße. Der Rest verteilte sich auf eine breite Palette von Wander-, Naturschutz-, Taucher-, Aquarien- und Feuerwehrvereinen und einfach spontan dazugekommenen Privatleuten und viele Kinder. Der Verband Hessischer Fischer (VHF) hatte hier mit Warnschutzwesten für alle für Sicherheit gesorgt. An zwei mal drei Tagen wurden so mehr als 75.000 Fische und ungezählte Zehntausende von Muscheln und anderen Wirbellosen geborgen und in den ungestört gebliebenen Unterlauf der Weschnitz umgesetzt. Fotostrecken davon finden sich auf www.weschnitzinsel.de und auf der Homepage des VHF.

Nach der Mittagspause in der im Gastraum des NationalparkZentrums alles für das leibliche Wohl der Teilnehmer bestens vorbereitet war, erwartete Frau Tatiana Habich die Teilnehmer in der Eingangshalle zur

Führung durch die Erlebnisausstellung.

Durch einen kleinen Vortrag zu Beginn der Führung erhielt die Gruppe interessante Informationen über den Nationalpark Kellerwald-Edersee, der eine Fläche von über 5700 ha hat. So haben die Teilnehmer z. B. erfahren, dass der vorherrschende Waldtyp der Hainsimsen-Buchenwald, oft in steinig-karger oder steiler Ausprägung, ist. Über 40 % der Buchen sind älter als 120 Jahre. Auf mehr als 1000 ha befinden sich Buchenwälder die älter als 160 Jahre, teilweise sogar bis zu 260 Jahre alt und reich an Totholz sind. Das NationalparkZentrum befasst sich schwerpunktmäßig mit den Themen Wildnis und Weltnaturerbe. Ziel des NationalparkZentrums ist, die Besucher auf emotionale Weise über den Nationalpark und dessen werdende Wildnis zu informieren erklärte Frau Habich. Es regt auf spannende Weise dazu an, die Natur mit anderen Augen wahrzunehmen und den Nationalpark zu besuchen.

Während der Führung durch die multimediale Erlebnisausstellung erlebten die Teilnehmer einen besonderen Perspektivwechsel. Durch die zeitgesteuerten Erlebnisräume sollen die Besucher aus dem Alltag herausgeholt werden und sich auf neue Perspektiven einlassen.

Exponate zum Naturerbe Buchenwald, zum Werden und Vergehen und vieles mehr laden spielerisch ein und Frau Habich beantwortete viele Fragen der interessierten Teilnehmer.

Zum Abschluss der Führung erlebte die Gruppe das Highlight der Erlebnisausstellung. Ein 4 D-Sinne Kino nimmt die Gäste 12 Minuten über eine Rangerführung mit in den Nationalpark Kellerwald-Edersee. Über eine 3D-Brille und verschiedene Effekte im Kino und in den jeweiligen Sitzen ist das ein besonderes Erlebnis und gibt den Impuls, den Nationalpark Kellerwald-Edersee hautnah erleben zu wollen.

In diesem Jahr feiert das NationalparkZentrums sein 10jähriges Bestehen und Tatiana Habich sagte, dass uns das bewusst macht, dass wir erst am Anfang einer besonderen Aufgabe stehen: „Aus einer einzigartigen Komposition von Urschätzen erwächst die Wildnis von morgen“.

Im Anschluss trafen sich die Naturschutzbeauftragten nochmals im Seminarraum zum Erfahrungsaustausch. An diesem Tag haben die Teilnehmer unserer Tagung wieder viel Interessantes erfahren und diskutiert.

Dr. Semiramis Pyriki bedankte sich bei allen und teilte den Termin der nächsten Tagung zur Vormerkung im Terminkalender mit: 16. März 2019.

Dr. Semiramis Pyriki
Referat Naturschutz

Fotos: J. Pyrikis