Ungewisse Zukunft für den Aal

Artikel 3

von Horst Stolzenburg

Besatz soll den Schwund aufhalten

  • Frühwarnsystem an Weser und Main eingeführt
  • Blankaalrettung an der Mosel als Zwischenlösung
  • Schonzeiten eingeführt und Mindestmaß erhöht

In den letzten Jahren haben die Fischereiverbände, Angelvereine und Fischereiverwaltungen deutschlandweit durch massive Besatzmaßnahmen versucht, das Schlimmste zu verhindern. Ob diese Bemühungen erfolgreich sein werden, kann zur-zeit niemand mit Bestimmtheit sagen. In Nordrhein-Westfalen hat man die potenziellen Aalgewässer nach Eignung klassifiziert. Hier setzt das Land in enger Kooperation mit den Fischereigenossenschaften, den Fischereiverbänden und den Angelvereinen zum Beispiel 40 Tiere pro Hektar Wasserfläche (z. B. Rhein, Lippe, Sieg) aus. Kostenaufwand von fast 250.000 Euro (2007-2013), wobei ein Teil des Geldes für begleitende Untersuchungen verwendet wird.
Als zusätzliche Schutzmaßnahme wurde in NRW das Mindestmaß zum Fang der Aale auf von 35 auf 50 Zentimeter angehoben und eine Schonzeit vom 1. Oktober bis zum 1. März verordnet. Auch ein generelles Fangverbot ist inzwischen im Gespräch. Landesweit ermittelte das Landesamt für Umwelt durch entsprechende Untersuchungen eine Fläche von 18.379 Hektar Lebensräume für den Fisch, die sich hauptsächlich auf den Rhein, die Lippe und die Sieg beziehen. Viele weitere Flüsse kommen als Heimat der Aale nicht infrage, weil sie nicht durchgängig und verbaut sind.
Zum Beispiel hat die Rheinfischereigenossenschaft im Jahre 2005 begonnen, jährlich vorgestreckte Farmaale im NRW-Rhein zu besetzen. Ausgehend von einer Besatzmenge von 40.000 – 50.000 Stück in den Jahren 2005 und 2006 wurde die jährliche Besatzmenge gesteigert, zuletzt wurden im Jahre 2010 knapp 100.000 Stück und im Jahre 2011 insgesamt 310.000 Stück vorgestreckte Farmaale in den Rhein besetzt. Die großen Besatzmengen der letzten Jahre konnten realisiert werden, indem vom Land NRW (LANUV) zusätzliches Besatzmaterial mit Fördermitteln aus dem Europäischen Fischerei-Fond (EFF) für den Rhein zur Verfügung gestellt wurde.
Die Siegfischereigenossenschaft setzt seit dem Jahr 2002 Satzaale in der Sieg aus (jährlich 12- bis 14.000 Stück). Dazu kommen noch ca. 20.000 Glasaale für die Agger und Sieg pro Jahr.

Hilfsprojekte sollen Verluste verringern

Ein Beispiel für die Kooperation zwischen einem Energieversorger und einem Bundesland in Sachen Aalschutz liefert Rheinland-Pfalz am Rheinnebenfluss Mosel, deren Lauf durch zehn Wasserkraftwerke (Fallhöhe sechs bis neun Meter) unterbrochen wird. Das Umweltministerium schreibt dazu: “Die in der Mosel sowie Saar regelmäßig und in einer ökonomisch und ökologisch nicht tolerierbaren Größenordnung auftretenden turbinenbedingten Fisch- bzw. Aalschäden führten im Jahr 1995 zum Abschluss einer Vereinbarung über eine gemeinsame Aalschutzinitiative zwischen dem an der Mosel fischereiberechtigten Land Rheinland-Pfalz und der RWE Power AG als Betreiberin der Wasserkraftanlagen. Die Vereinbarung sieht die Finanzierung von Sofortmaßnahmen (Befischungen und Fischtransporte) und Untersuchungen über technische Möglichkeiten zur Minimierung der Fischschäden unter Beteiligung wissenschaftlicher Institutionen (u. a. RWTH Aachen, Universität Konstanz) sowie des Aalbesatzes mit jährlich rund 220.000 Euro durch die RWE Power AG vor. Das zunächst bis zum Jahr 2000 vorgesehene Projekt verlängert sich, sollte vorher keine Kündigung ausgesprochen werden, jeweils von Jahr zu Jahr. Den Aalfang haben die Berufsfischereibetriebe an der Mosel sowie Saar übernommen, die als Pächter die Stauhaltungen fischereilich bewirtschaften. Die mittels Reusen in den Moselstaustufen vor den Wasserkraftanlagen gefangenen Blankaale werden schonend gehalten und einmal wöchentlich mit einem Fischtransportfahrzeug an den Rhein bei Linz verfrachtet und in den hindernisfreien Rhein wieder ausgesetzt, um die Laichwanderung in die Sargassosee zu ermöglichen. Erstmalig wurden die Sofortmaßnahmen in der Phase des herbstlichen Abwanderungsmaximums von August bis November im Jahr 1997 durchgeführt.”
Tabelle 1 gibt einen Überblick über die bisher gefangenen und ausgesetzten Blankaale. Insgesamt waren es über 60 Tonnen (61.858 kg). Laut der RWE Power AG können so jährlich 10- bis 15.000 Aale ihre Wanderung zu ihren Laichgebieten fortsetzen.
Der tatsächliche Bestand der Blankaale in der Mosel wird von Experten auf die zehnfache Menge der gefangenen Aale geschätzt. Sie gehen von einer Überlebensrate von 40 Prozent an den Moselkraftwerken aus. Das heißt mit anderen Worten, dass 60 Prozent der abwandernden Fische es nicht schaffen. Die bestehenden Fischaufstiege werden als nicht funktionsfähig bewertet, weil sie überaltert sind. Nur der an der ersten Staustufe wird als passierbar eingeschätzt.
Ein kluges Turbinenmanagement kann dazu beitragen die Verluste bei den abwandernden Blankaalen zu reduzieren, wie es ein Beispiel von der Weser zeigt. Der Energieerzeuger Statkraft verweist auf positive Erfahrungen, seit Einführung dieses Managements kombiniert mit einem Frühwarnsystem, das die abwandernden Aale er-fasst und Alarm schlägt.
Seit dem Start des vollautomatischen Turbinenmanagements testet Statkraft das selbst-entwickelte System kontinuierlich auf Verlässlichkeit. Um die Daten aus dem internen Monitoring zu überprüfen, werden die Fänge parallel von einem Berufsfischer entsprechend nach Tagen, Uhrzeit und Mortalität gelistet.

Jahr Fang (kg)
1997 1.474
1998 1.923
1999 3.418
2000 4.612
2001 5.803
2002 4.735
2003 3.939
2004 3.584
2005 8.785
2006 5.558
2007 7.537
2008 5.790
2009 4.030
2010 3.850

Tabelle 1: Zu tausenden werden die Blankaale an der Mosel eingefangen und anschließend im Rhein ausgesetzt

“Die vorliegenden Ergebnisse aus den Monaten Oktober bis Dezember 2011 zeigen deutlich, dass die ausgelösten Alarme an Weser, Werra und Fulda über 95 Prozent mit den Fangdaten übereinstimmen”, berichtet Maik Thalmann, Leiter der Wasserkraft Deutschland, und betont weiter: “Gleichzeitig zeigen die Ergebnisse auch, dass die Überlebensrate der Aale durch das neue Betriebsmanagement auf 99 Prozent gesteigert werden konnte.”
Neben der Entwicklung und technischen Umsetzung des Projekts sind auch Information und Aufklärung rund um den Aalschutz wichtige Faktoren für Statkraft, unterstreicht Thalmann: “Wir arbeiten eng mit Behörden und Fischereiverbänden zusammen und fuhren regelmäßig Informationsveranstaltungen über verbesserte Abstiegsmöglichkeiten der Aale in der Weser durch.” Der Fischereiverband der Weser Pachtgemeinschaft IV (Dörverden bis Bremen sowie Aller bis Hülsen) unterstützt das Projekt ebenfalls. “Auf Basis der Statkraft Initiative haben wir den Beschluss gefasst, dass Angler und Berufsfischer von Oktober bis März in der Mittelweser keine Aale fischen dürfen”, so Uwe Roll, Sprecher der Fischerei-Pachtgemeinschaft Weser IV und Vorsitzender des Angelvereins Achim/Weser. “So wollen auch wir einen nachhaltigen Beitrag leisten, die Aalbestände und deren Populationserhalt in der Weser zu stärken.”
Statkraft betreibt in Deutschland neun Laufwasserkraftwerke – sechs an der Weser und drei an den Flüssen Werra, Fulda und Eder sowie ein Pumpspeicherkraftwerk in Erzhausen. Acht dieser Kraftwerke sind mittlerweile Teil des vollautomatischen Systems für einen aalschonenden Turbinenbetrieb. Die acht Laufwasserkraftwerke Wahnhausen, Werrawerk, Petershagen, Schlüsselburg, Landesbergen, Drakenburg, Dörverden und Langwedel sind Teil des Turbinenmanagements. Inzwischen sind vier Standorte (Wahnhausen, Werrawerk, Langwedel und Petershagen) mit dem Frühwarnsystem “Migromat”, einem Patent des Institutes für angewandte Ökologie, versehen worden. Auch am Main wurde dieses System an drei Standorten eingebaut: Garstadt, Erlabrunn und Kesselstadt.
Bevor diese Maßnahmen griffen, machten die Autoren einer Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) noch andere Erfahrungen in den Jahren 2008/9 zur Blankaalabwanderung in der Mittelweser: ” … der vorliegende Bericht fasst Befunde zur Blankaalabwanderung in der Weser zusammen, die in der Abwandersaison 2008/09 durch Auswertung der Schokker- und Hamenfänge von zwei Berufsfischern im Unterwasser der Staustufen Landesbergen und Drakenburg (Niedersachsen) erhoben wurden.
Die gefangenen Aale wurden gezählt, vermessen und auf wasserkraftbedingte Schädigungen hin untersucht. Darüber hinaus wurden Wiederfänge zuvor markierter und im Unterwasser der Staustufe Schlüsselburg freigelassener Blankaale registriert.
Auf dieser Basis lässt sich die Gesamtabwanderung in der Weser im Untersuchungszeitraum jeweils mit ca. 14.000 Exemplaren an den beiden Standorten Landesbergen und Drakenburg angeben. Von diesen Blankaalen weisen jeweils 28 bis 30 % pro Standort wasserkraftbedingte Schädigungen auf. Hierbei steigt das Schädigungsrisiko mit zunehmender Körperlänge. Mindestens die Hälfte der geschädigten Aale, also 14 bis 15 % der Gesamtabwanderung pro Standort sind tot oder so schwer geschädigt, dass sie aufgrund ihrer Verletzungen nicht in der Lage sind, die Reproduktionsgebiete zu erreichen und zur Arterhaltung beizutragen.
Die fischereiliche Mortalität lässt sich für die beiden Standorte mit jeweils ca. 16 % angeben.”
Am Neckar ist es besonders schlimm
Um eine Vorstellung vom Ausbaugrad der Wasserkraft an bundesdeutschen Flüssen zu bekommen, lohnt ein Blick auf den Neckar in Baden-Württemberg. Hier liegen 26 Kraftwerke direkt im Fluss, die der Energieversorger EnBW betreibt. Diese erzeugen im Schnitt 93 Megawatt Strom im Jahr. Im gesamten Einzugsgebiet verzeichnet die Studie eines Fachbüros 799 Wasserkraftstandorte. 450 von diesen sind Kleinkraftwasseranlagen und haben eine Leistung bis 50 KW.
Die Fliessgewässer werden durch 1.200 Regelungsbauwerke (Wehre), 3.000 Sohlenbauwerke und 300 Hochwasserrückhaltebecken in ihrem freien Lauf behindert. Für Wanderfische bedeuten diese Verhältnisse ein Desaster.
Die Bedeutung der Wasserkraft in Deutschland für die Stromgewinnung schätzt das Bundesumweltamt wie folgt ein: “Deutschland weist wenig günstige naturräumliche Voraussetzungen für die Nutzung der Wasserkraft auf. In Abhängigkeit von den hydrologischen Bedingungen liegt der Anteil der Energieerzeugung aus Wasserkraft an der Gesamtstromerzeugung in Deutschland zwischen 3,5 und 5,1 % (1990-2004). Über 80 % dieser Energiemenge wird in den niederschlagsreichen Mittelgebirgsregionen Bayerns und Baden-Württembergs erzeugt. Das unter Berücksichtigung technischer, ökologischer, infrastruktureller und anderer Belange nutzbare Potential des Energieträgers Wasser beträgt in Deutschland etwa 25-500 GWh und ist bereits zu 85% erschlossen. Ein Zuwachs an Leistung ist in erster Linie durch die Optimierung und Modernisierung oder die Reaktivierung von Wasserkraftanlagen an bereits bestehenden Stauhaltungen zu erwarten”.
Dieser Strom des Energieträgers Wasser wird in 7.200 Kleinwasserkraftanlagen mit einer Leistung bis zu l Megawatt und 402 große Wasserkraftanlagen mit einer Leistung über 1 Megawatt erzeugt.