Ungewisse Zukunft für den Aal

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von Horst Stolzenburg

Köln – Zerstückelte und zerquetschte Aale bieten ein Bild des Jammers. Zum wiederholten Mal fand Winfried Klein, Vorsitzender der IG-Lahn und Sprecher des Verbandes Hessischer Sportfischer, dutzende der Tiere am Lahnkraftwerk bei Diez. Jetzt wieder aktuell Anfang November als er 42 – alle über 65 cm – Aale im Gesamtgewicht von ca. 45 Kilogramm den Tod am Wasserkraftwerk fanden und hier am Rechen der Anlage verendeten. Kleinere Tiere dürften durch den 20 mm-Rechen geflutscht und anschließend gehäckselt worden sein. Winfried Klein: “Das Produkt der Anlagen nennt man bekanntlich “sauberer Strom”, “grüner Strom” oder gar “Ökostrom” – zynischer geht es nicht mehr! Wieder einmal ein riesiger und nicht hinzunehmender Schaden”.

Fische erleiden an den Kraftwerken eine Vielzahl von Verletzungen, wie Fleischwunden, Quetschungen, Striemen/Schnittwunden, Blutergüsse, Schuppungen, Teilzertrennungen, Totalzertrennungen, Augendeformationen, Wirbelbrüche, die für sie in der Regel tödlich sind, wie es Fischereibiologen bei entsprechenden Untersuchungen an Kraftwerken dokumentierten.(z.B. Mainkraftwerk Dettelbach

Klein war so erbost, dass er die toten Aale einsammelte und sie anschließend mit ein paar Helfern in der Fußgängerzone in Limburg der Öffentlichkeit zur Schau stellte. Die Betroffenheit der Passanten war riesengroß. Presse und Funk berichteten über die Aktion.

Für Klein ist es eine Schande, dass unter dem Etikett der regenerativen Energiegewinnung keine Rücksicht auf die im Wasser lebenden Tiere genommen wird. Besonders deshalb, weil er in den letzten Jahren an den Kraftwerken an der Lahn immer wieder haufenweise Fischleichen gefunden hat. Er schätzt, dass in der Nacht vom 5. Auf den 6. November 2012 ca. 2- 5 Tonnen Aale an den Lahn-Kraftwerken gestorben sind. Deutschlandweit seien das viele Tonnen.
Doch nicht nur an der Lahn werden die Aale systematisch in den Kraftwerksanlagen getötet. Am Main sieht es nicht anders aus. Ein neues Wasserkraftwerk an der Staustufe Kostheim, das 2010 für 20 Millionen Euro in Betrieb genommen wurde, regt die hessischen Angler zusätzlich auf. Eine aktuelle Studie über die Passierbarkeit der Anlage ergab desaströse Ergebnisse. Die eingebauten Wanderhilfen für die Fische funktionieren nur unzureichend und müssen dringend nachgebessert werden. Die 20-mm-Rechen lassen zwar kleinere Fische passieren, größere Fische verletzen sich aber hier u.a. aufgrund des Wasserdruckes (Sog) und werden getötet. Das treffe auf 50 Prozent der ankommenden Aale zu. Die Angler ergänzen in einem Statement: ” Main aufwärts sind weitere 32 Wasserkraftwerke mit veralteter Technik und ohne wirksame Fischschutzeinrichtungen in Betrieb.”
Die Schätzungen von Winfried Klein zum Aalverlust an der Lahn, werden durch die Untersuchungsergebnisse des Institutes für Binnenfischerei in Potsdam-Sacrow untermauert, wie es auch die Tabelle verdeutlicht (Umsetzungsbericht der Aalmanagementpläne der Bundesländer 2012):

“Die meisten Blankaale werden den Berechnungen zu Folge durch die Wasserkraftanlagen und Kühlwasserentnahmen im Rhein (2010: 129 t) getötet. Es folgen Weser (70 t), Elbe (43 t), Schlei/Trave (23 t), Eider (12 t) und Ems (5 t). In Maas, Oder und Warnow/Peene liegen die kalkulierten Verluste bei Blankaalen unter 1 t pro Jahr. Sofern es nicht gelingt, die Sterblichkeit insbesondere durch Wasserkraftanlagen in den großen Flüssen der Aaleinzugsgebiete deutlich zu verringern, ist in den nächsten Jahren mit einem erneuten Ansteigen der getöteten Blankaalmengen zu rechnen. Denn zukünftig werden die Aale, die als junge Tiere in der Vergangenheit besetzt wurden, in die Blankaalgrößen hineinwachsen und damit vermehrt stromabwärts wandern.”

Zwischen 2005 und 2010 waren es in den genannten Flussgebieten zusammen 2.169 Tonnen!!! Andere Experten gehen aber von einer deutlich höheren Verlustrate aus. Aalforscher Dr. Reinhold Hanel vom Thünen-Institut in Hamburg bewertet die Hochrechnungen der abwandernden Blankaale aus deutschen Flüssen übrigens als eher überschätzt. Aufgrund des Ausbaugrades und der Wasserkraftnutzung geht er von wesentlich höheren Ausfallraten aus. Diese genannte Summe bezieht sich nur auf die laichbereiten Blankaale und erfasst nicht die jüngeren Jahrgänge, die größtenteils den Tod in den Kraftwerken finden. Ihre Zahl kann nur geschätzt werden. Durch die Umsetzung der Aalbewirtschaftungspläne hat sich die Gesamtzahl der toten Blankaale immerhin um 25 Prozent verringert, im direkten Vergleich zu den Zahlen zuvor. Zuversichtlich für die Zukunft dieser Fischart können einen diese Fakten nicht stimmen. Der beliebte Speisefisch droht für immer von der Bildfläche zu verschwinden.

Die Potsdamer Fachleute kommentieren diese Tabelle, wie folgt: “Die ermittelten Referenzwerte (B0) für die Abwanderung von Blankaalen unter unbeeinflussten
Bedingungen belaufen sich auf 1,5-3,8 kg/ha für die in die Ostsee entwässernden Flüsse Oder, Schlei/Trave, Warnow/Peene) und 0,5-7,2 kg/ha für die in die Nordsee entwässernden Flüsse Eider, Elbe, Maas und Rhein. Für die Flusseinzugsgebiete Weser und Ems (Nordsee) wurden auf Basis historischer Referenzzahlen (Wehr Herbrum, Ems) bzw. früherer Einschätzungen (TESCH et al. 1967) mit dem weiterentwickelten Aalbestandsmodell GEM II deutlich höhere Werte von 10,9 bzw. 16,4 kg/ha geschätzt. Die ermittelten Referenzwerte liegen im Rahmen von Angaben aus anderen mitteleuropäischen Flüssen Insgesamt ergibt sich für alle Aaleinzugsgebiete ein summarischer Wert für B0 von 5.453 t, was
im Mittel 3,4 kg/ha entspricht. Im Vergleich dazu wird die aktuelle Blankaalabwanderung (Bcurrent) für die deutschen Aaleinzugsgebiete auf 2.045 t bzw. 1,3 kg/ha geschätzt. Insgesamt wurden im hier betrachteten Zeitraum 2008-2010 rund 6,1 Mio. Glasaale, 23,5 Mio. vorgestreckte Aale und 1,5 Mio. Satzaale besetzt. Somit ergab sich bei Satzaalen eine Steigerung des Besatzes gegenüber den Planwerten, bei vorgestreckten und Glasaalen jedoch eine Verringerung. Einen weiteren, wichtigen Beitrag zur Verbesserung der aufwärts gerichteten Durchgängigkeit in den deutschen Aaleinzugsgebieten könnte das Priorisierungskonzept des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zur “Erhaltung und Wiederherstellung der ökologischen Durchgängigkeit der Bundeswasserstraßen” darstellen. Im Zuge dieses Priorisierungskonzeptes sollen in drei Umsetzungsphasen rund 250 Staustufen in deutschen Bundeswasserstraßen mit Fischaufstiegsanlagen ausgestattet werden. Die erste Umsetzungsphase beinhaltet 46 Maßnahmen, deren Umsetzung noch vor 2015 in Angriff genommen werden soll.”

Unter der Voraussetzung, dass weiterhin massiv der Aalbesatz nach den Managementplänen der Länder umgesetzt wird, prognostizieren die Fachleute eine Erholung des Bestandes entsprechend den EU-Vorgaben für das Jahr 2030.